Samstag, 16. April 2016

Versorgungsnetzwerk aufgedeckt So kommt der IS an seine Uniformen

Bewaffnete IS-Kämpfer marschieren in Formation. Ihre Kleidung kam zumindest zum Teil aus Europa.

In einem Container im Hafen von Valencia sind 20.000 Uniformen entdeckt wurden, die offenbar für den IS bestimmt waren. Hinter dem Versorgungsnetzwerk der Dschihadisten stecken alte Bekannte.
Der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) reicht es nicht, im Ausland Kämpfer zu rekrutieren – sie will sie auch bewaffnen, ausrüsten und mit einheitlicher Kleidung und Schuhen versorgen. Nur dann, das wissen die medienaffinen Strategen der Terrormiliz, lassen sich die Rekruten als ein tatsächlich staatliches Militär präsentieren.
Aber woher kommen zum Beispiel die nagelneuen Geländewagen, die man auf den Videos des IS in langen Karawanen auf den staubigen Wüstenwegen fahren sieht? Wer versorgt die IS-Kämpfer mit ihren Maschinengewehren? Woher kommen die blitzsauberen Uniformen? Wer beliefert die Miliz, und wie bezahlt sie das alles?
Mitte März beschlagnahmte die Polizei in Spanien einen Container im Hafen von Algeciras bei Cadiz und zwei weitere in dem von Valencia. Im ersten Container fand man das, was auch offiziell als Ladung beim Zoll angegeben war, nämlich Second-Hand-Kleidung. In den letzten beiden jedoch entdeckten die Beamten eine Verpackungsmaschine und, gut versteckt unter einem Berg gebrauchter Kleidung, fünf Tonnen perfekt verpackter und beschrifteter Ballen mit insgesamt 20.000 Militäruniformen – das reicht, um eine ganze Armee auszurüsten.
Der Container kam aus Saudi-Arabien – die Uniformen selbst scheinen jedoch eher aus einem Nato-Land zu stammen – und sollte in die Türkei geliefert werden: zunächst bis in den Hafen von Mersin, dann auf dem Landweg bis zum Grenzübergang von Bab al-Hawa zwischen der türkischen Grenzstadt Antakya und dem syrischen Aleppo.

Von einer Terrororganisation zur anderen

Die Razzia in den spanischen Häfen war bereits die zweite dieser Art. Bei der ersten Untersuchung am 7. Februar wurden sieben mutmaßliche Mitglieder eines IS-Versorgungsnetzes verhaftet, unter anderem auch in der spanischen Exklave Ceuta. Als Kopf dieses Netzwerks gilt Ammar Termanini, geboren 1972 im syrischen Aleppo. Er war nach Aufenthalten in Holland, Belgien und Großbritannien 2012 nach Spanien gezogen und hatte dort eine Firma aufgebaut, Tigre Negro S.L.
Termanini war der alleinige Geschäftsführer des Import-Export-Unternehmens für Textilien. Unter dem Vorwand, humanitäre Hilfe zu leisten, verschiffte er mehrere Lieferungen nach Syrien. Einige der Transporte begleitete der Chef persönlich. Wem dieser sich zugehörig fühlt, ist auf seiner Facebook-Seite leicht erkennbar. Hier postet er Fotos von sich selbst mit Automatikwaffen am Grenzübergang von Bab al-Hawa und in Idlib. Die syrische Stadt befindet sich unter der Kontrolle der Al-Nusra-Front, dem syrischen Ableger von al-Qaida.
Weil spanische Behörden Termaninis Telefon abhörten, sind sie über dessen Aktivitäten recht gut im Bilde: Zunächst arbeitete er tatsächlich für die Al-Nusra-Front, jüngst hat er sich aber dem IS zugewandt. Bei seiner Verhaftung trug er eine illegal beschaffte Pistole Kaliber 22. Finanziert haben soll die Lieferungen von Termanini ein gewisser Mohammed Abu al-Rub Karima aus Jordanien, Jahrgang 1960 und ebenfalls wohnhaft in Spanien. Ihm gehört ein Fabrikgebäude in einem Industriegebiet, wo man auch Uniformen fand, die wohl für den IS bestimmt waren. 
Er war eine Art Finanzverwalter des Netzwerkes. Um Geld aufzutreiben und anschließend zu überweisen, nutzte er den Hawala-Transfer: Ein informelles System zwischen Mittelsmännern, das nur auf Vertrauen basiert. So werden Transaktionen zwischen verschiedenen Ländern ermöglicht, ohne dabei die geringsten Spuren durch Banküberweisungen zu hinterlassen.

Verbindungen zum Madrid-Attentat 2004

Ideologe des Netzwerkes soll Nourdine Chikar Allal sein, ein marokkanischer Geschäftsmann, der ebenfalls in Spanien wohnt. Er sorgte dank seiner Kontakte in der Türkei dafür, dass alle Hindernisse aus dem Weg geräumt wurden und die Lieferungen sicher ans Ziel kamen. Und wie so oft ist auch ein weiterer alter Bekannter des spanischen Geheimdienstes in die Geschichte verwickelt: Hitham Sakka al-Kasim aus Homs in Syrien. 
Al-Kasim wurde in der spanischen Exklave Ceuta verhaftet und soll nach Erkenntnissen spanischer Anti-Terror-Ermittler mit Gruppen in Verbindung stehen, die an den Anschlägen des 11. September 2001 beteiligt waren. Sein Bruder wird mit Kontakten in Verbindung gebracht, die für das Attentat von Madrid am 11. März 2004 verantwortlich sind.
Ebenfalls verhaftet wurden ein Marokkaner und ein Syrer, zwei vertraute Angestellte von Termanini in seiner Firma. Auch ein Spanier ist unter den Verdächtigen: Simón Richart Lucas. Er ist weder Konvertit noch ein fanatischer Dschihadist, sondern einfach ein skrupelloser Unternehmer, dem nachgesagt wird, dass er auch vor den schmutzigsten Geschäften nicht zurückschreckt.
Dieses Versorgungsnetzwerk hat dem Islamischen Staat nicht nur Uniformen geliefert, sondern auch viele andere Aufträge und Bestellungen erledigt. Wie zum Beispiel ein bestimmtes Düngemittel, das in Spanien nicht erhältlich ist und zur Herstellung von Sprengstoff dient – auch das hatte Hitham im Auftrag von Termanini besorgt.
Es ist ein ausgesprochen komplexes Gerüst, auf dem sich der Islamische Staat aufbaut, mit Stützpunkten in vielen Ländern. Erst jetzt kommen die Geheimdienste den Verknüpfungen dieser Art langsam auf die Spur. Eines jedoch steht für sie fest: Es reicht nicht, die Kämpfer selbst zu stoppen. Das wichtigste ist, die Geldströme Richtung IS zu unterbinden und ihm so die Versorgungswege abzuschneiden.
Dieser Text stammt aus der Zeitungskooperation Leading European Newspaper Alliance (LENA). Ihr gehören neben WeltN24 die italienische Zeitung „La Repubblica“, „El País“ aus Spanien, „Le Soir“ aus Belgien, „Le Figaro“ aus Frankreich sowie aus der Schweiz „La Tribune de Genève“ und „Der Tagesanzeiger“ an. N24.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen