Freitag, 13. Mai 2016

Und dann lässt Böhmermann entspannt die Bombe platzen



Jan Böhmermann ist zurück im TV – und alle erwarten irgendwas zu Erdogan. Stattdessen schleust er einen Kandidaten bei der RTL-Sendung "Schwiegertochter gesucht" ein. Das Verafake - ein genialer Coup.


Eigentlich geht es doch nur um die erste Minuten. Wie tritt er auf? Wie wirkt er? Entspannt? Nervös? Und dann kommt alles komplett anders. Ein medialer Coup, Investigativ-Journalismus, den man so nur, ja von wem eigentlich noch erwarten würde. Auch wenn man davon in den ersten Minuten noch nichts ahnt.
Die Musik startet, Böhmermann betritt das Studio. Blitzende Zähne. Dunkelgrauer Anzug mit rosa Krawatte. Stand-up-Teil. Ein Festival der Anspielungen: "Ich spende 500 Euro an Staatspräsidenten in Not". Etwas angespannt? Eher subtil wütend. "Auf dieser Sendung ist viel Druck. Mit Gags habe ich schlechte Erfahrung mit gemacht. Kann ja sein, dass Hitler dann klagt – wegen Störung der Totenruhe."
Er wolle keine eigenen Gags mehr machen, lieber die von Zuschauern vorlesen. Jeder, dessen Pointe in der Show stattfindet, bekommt dafür 103 Euro. Anspielung auf den Paragrafen 103, quasi Majestätsbeleidigung, nach dem Böhmermann nach Wunsch des türkischen Präsidenten Erdogan nun verknackt werden soll.

Der depperte Robin ist Böhmermanns Coup

Und dann lässt er leise und entspannt die Bombe platzen. "Ich habe viel über eine Frau nachgedacht, eine Frau mit Sakko, eine mächtige Frau. Ich meine Vera Int-Veen."
Jetzt zeigt er die Kandidaten der von Int-Veen moderierten RTL-Sendung "Schwiegertochter gesucht". Und spielt böse an – diese Sendung mit Fake-Kandidaten? Niemals! Oder? Böhmermann grinst; es ist ein Grinsen ohne Gedächtnis, als hätte es den Frühling 2016 niemals gegeben. Sie zeigen den Kandidaten "Robin" aus dem Ruhrgebiet. Ein Weichei, das auf Eisenbahnen und Porzellan-Schildkröten steht. Böhmermann will mit ihm skypen. Er zeigt "Robin", und jetzt dämmert es auch dem letzten Zuschauer: Fake, Riesenfake! "Nur um zu dokumentieren, was RTL für eine Scheiße mit Menschen abzieht, die sich nicht wehren können", woms, er teilt aus, macht ja auch viel mehr Spaß als einstecken.



Aber was für ein Aufschlag, was für ein Coup; allein dieser Aufwand: Wohnung in Duisburg gemietet und "wie eine Asi-Wohnung" aussehen lassen. Alles mit Kamera dokumentiert. Klar, Wallraff deckt Missstände für RTL im Land auf, aber wer decktMissstände bei RTL auf, findet ein sichtbar nicht geläuterter Satiriker.
Zwei Schauspieler: der dumme Robin und sein noch dümmerer Vater. Die Redaktion von "Schwiegertochter gesucht" kauft es dankbar ab, schärft sogar noch nach. Was die beiden vermeintlichen Dummköpfe erleben, schlimmer als jedes zynismusgeschwängerte Klischee: Für 30 Drehtage gibt's 150 Euro Aufwandsentschädigung. Offenbar insgesamt, nicht pro Tag!
Das Kamerateam bringt zum Dreh ein pinkes "Liebe ist …"-Puzzle mit. Damit soll "Robin" spielen. War er ihnen wirklich noch nicht deppert genug?! Die Fake-Kandidaten müssen sogar unterschreiben, dass sie nicht geistig behindert sind. Dass sie diesen Vertrag angeblich nicht lesen können, nicht verstehen – der Redakteurin völlig egal; sie habe doch eh quasi alles vorgelesen, also los, unterschreibt!



Gysi gibt Rechtsberatung zum Anti-Erdogan-Gedicht

Lacher verebben, das ist einfach zu heftig, um noch lustig zu sein. Und es dämmert jetzt: Genau deshalb ist Böhmermann wichtig für das deutsche Fernsehen. Weil er sich etwas traut und echten Aufwand betreibt. Weil er nervt, sich nicht einschüchtern lässt. Ihn mögen oder nicht, das ist nicht das Kriterium. Das, was er macht, geht so weit über die Pipikaka-Witze seiner Generationsgenossen Joko und Klaas hinaus, lässt dabei in puncto Unterhaltung alle verstaubten Brachial-Kabarettisten der piefigen Kleinstudios der Dritten Programme so weit hinter sich zurück, dass er sie – sein Glück – gar nicht mehr wahrnehmen dürfte.
Dabei redet Böhmermann durchaus nicht nur in Pointen: "Die Kandidaten wissen nicht, worauf sie sich einlassen. Es geht nicht um Liebe, es geht ums Geschäft. Dafür macht ihr alles. Ihr macht die Leute zu Witzfiguren. Sorgfaltspflicht, scheißegal!"
Weitermachen als Therapie? Die hat er gar nicht nötig! Dann kommt Gysi. "Unser nächster Gast hat ein spannendes Bauprojekt in Ägypten laufen, die Pyramiden von Gysi, hahaha." Na gut, Gysi kriegt man immer, der macht alles mit. Und erzählt erst mal, dass er nicht nur Anwalt, sondern auch gelernter Rinderzüchter ist. "Anders kommen Sie in der Politik nicht mit den Hornochsen klar, hahaha." Gysi hat seine eigenen Witze mitgebracht, wie nett.
Der gewiefte Linkepolitiker gibt ihm Rechtsberatung und betont, wie schlimm er das Anti-Erdogan-Gedicht findet. Böhmermann genervt, ja, ja, ist gut. Dann plaudern sie belanglos. Schade, können wir nicht noch mal zurück zu der RTL-Fake-Sache? Leider nein. Das war's, hängen bleibt kein geschmackloses Gedicht gegen irgendeinen berufsbeleidigten Despoten, nein, die Filetierung einer menschenunwürdigen TV-Show, das ist der Wert einer Sendung, die quasi keine anderen Highlights hatte – und auch nicht brauchte.
Was für ein krachendes Comeback! Welt.de

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